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Das Rollenspiel >> Die Stadt Talyra >> Entlang des Llarelon
(Thema begonnen von: Raven am 02. Juni 2006, 23:59 Uhr)

Titel: Entlang des Llarelon
Beitrag von Raven am 02. Juni 2006, 23:59 Uhr
Llarelon wird das Flüsschen genannt, das irgendwo in den stillen, dämmrigen Tiefen des Larisgrüns entspringt und auf seinem Weg zum Ildorel die Stadt in einem weiten gemächlichen Bogen durchfließt. Im Nordwesten Talyras, in der Nähe der "Dicken Hulda", des ältesten Rundturms der Stadt, passiert er, eingezwängt in zwei mächtige Stauwehre, den Stadtgraben und die dicken Mauern, windet sich anschließend breit und behäbig noch einige hundert Schritt nach Südosten, bevor er sich schließlich nach Süden wendet. Sein flaches Bett misst ein gutes Dutzend Schritt von einem Ufer zum anderen und führt ihn quer durch die halbe Stadt südwärts, bis er in Höhe des Shenrahtempels erneut einen Bogen macht und sich in unzähligen Windungen dem Ildorel im Osten entgegenschlängelt. Kurz vor der Mündung des Llarelon in den See, ein Stück östlich des Steinernen Dreiecks, zweigt von seinem Flussbett ein schmaler, künstlich angelegter Kanal ab, der in südöstlicher Richtung das Handwerkerviertel und das Viertel der Gerber und Färber durchquert, um sich unterhalb des Hafenbeckens in den Ildorel zu ergießen. Der Kanal wurde schon zu Zeiten des alten Imperiums angelegt, um den Fluss auf seiner ganzen Länge sauber und sein Wasser klar und rein zu halten; so dürfen sich auch eben nur im Bereich dieses künstlichen Kanalstückes Handwerksbetriebe ansiedeln, die Leder und Häute gerben oder Stoffe färben, und dadurch den Fluss verunreinigen könnten.

Bis auf das kurze Kanalstück jedoch ist der Lauf des Flusses noch immer so ungebändigt, wie er sich seit tausenden von Jahren durch Erde und Stein in Richtung Ildorel windet. Nur an wenigen Stellen sind die Ufer wirklich befestigt und abgemauert, vor allem an den großen Straßen und im Bereich größerer Brücken, der überwiegende Teil des Flusslaufes jedoch gehört der Natur. Weiden, Ulmen, Eichen und Eschenhecken säumen die Ufer, ganze Büsche von Aronstab und vielerlei Pflanzen, die das Wasser lieben: Sumpfmyrte, Wasserpetunien, dicke Dotterblumen und riesiger Sauerampfer. Schmale Fußwege und ausgetretene Pfade schlängeln sich am Flussufer entlang, unter Brombeerbüschen hindurch, um gewaltige Trauerweiden herum, deren Äste bis tief über das Wasser hängen, in dichte Weißdornhecken und wieder hinaus, durch die verschlungenen Ranken von wildem Geißblatt und durch offene Wiesenstücke, weiß und gelb gesprenkelt von Gänseblümchen und Schlüsselblumen. Frösche quaken hier zwischen Schilf und grünem Wasserkraut, und gelegentlich lassen sich auch Fischreiher und Störche blicken, die hier auf die Jagd gehen. Über den glattgeschliffenen Flusskieseln sieht man oft die schlanken, glitzernden Leiber von Forellen aufblitzen, und des Nachts segeln lautlos die Fledermäuse über den Llarelon hinweg.

An machen Stellen ist das Flussbett so flach und die Böschung so niedrig, dass es den Kindern der Stadt als Badeplatz dient. Doch auch die Wäscherinnen haben hier ihr Revier - an einem friedlichen, von Korbweiden bestandenen Uferabschnitt unweit der Mündung des Llarelon in den Ildorel haben sie ihren Platz gefunden. Große, flache Steine säumen hier das Flussbett, und ein hölzerner Steg führt gut zwei Dutzend Schritt weit am Ufer entlang, wo fleißige Mägde Wäsche schrubben und Leintuch in der Sonne bleichen, wo im Sommer stets ein fröhlich schnatternder Auflauf von Wäscherinnen zusammensitzt und spielende Kinder durchs Gras und das seichte Wasser tollen. Unzählige Brücken überqueren den Lauf des Llarelon durch die Stadt, vom schmalen, wackligen Holzsteg bis hin zu mächtigen steinernen Brückenbögen, auf denen sich Fuhrwerke und Eselskarren, Bürger und Bauern, Händler und fahrendes Volk in stetem Strom stadtein- und stadtauswärts wälzen. Eine der Brücken führt auf die größere der beiden Flussinseln, ein schmales Stückchen Land, das zu beiden Seiten vom Wasser des Llarelon umspült wird. Dort steht die Weidenmühle, die größte Kornmühle der Stadt, in der Rowir Mahlzahn das Regiment über ein halbes Dutzend Müllersburschen führt.

NSC's

Rowir Mahlzahn
Müller und Besitzer der Weidenmühle auf der großen Flussinsel. Mahlzahn ist ein Schrank von Mann, gut sechseinhalb Fuß groß, wuchtig und grobschlächtig, mit Pranken so breit wie Mühlschaufeln. Schuften kann er wie ein Ackergaul und er schleppt mit Leichtigkeit zentnerschwere Mehlsäcke auf der Schulter. Aus seinem derben, rotwangigen Gesicht, umkränzt von wirren, schwarzen Locken und einem ebenso schwarzen, struppigen Bart, glänzt verschmitzt ein Paar haselnussbrauner Augen, und immerzu scheint er von einer feinen, puderweißen Mehlstaubpanade überzogen zu sein, die an ihm haftet wie eine zweite Haut.

Cynric, Streich, Mausohr, Luth Linkerhand, Kelloggs und Cuidy - die Müllersburschen


Die beiden kleinen Inseln im Fluss sind auf der aktuell gültigen Stadtkarte noch nicht eingezeichnet, die gibt's dann auf der neuen Karte.

Titel: Re: Entlang des Llarelon
Beitrag von Raven am 03. Aug. 2006, 17:32 Uhr
Perlenhafen <---

Während die Pferde dem ausgetretenen Pfad folgen, der sich am Ufer des Llarelon entlangwindet, steht Aulins Mundwerk nicht einen Augenblick lang still. Er hat sich auf Halbmonds Rücken häuslich eingerichtet, klammert sich eifrig an Ravens Hosenbund fest und hat sich offenbar zum Vorsatz gemacht, sie heimtückisch von hinten mit seinem nicht enden wollenden Redefluss zu erschlagen. Vor allem lässt er die Lachsforelle, die in Ravens Hand baumelt, keinen Herzschlag lang aus den Augen, und sobald sie auch nur den Arm einen halben Sekhel nach unten sinken lässt, beginnt er sofort ein zorniges Geschrei und boxt sie mit seinen knochigen kleinen Fäusten in die Rippen. Mehrere Male hat sie bereits versucht, ihre stinkende Fracht unauffällig loszuwerden, sie 'versehentlich' davonglitschen zu lassen, in den Fluss zu werfen, oder sie den Katzen zu überlassen, deren treue Eskorte sich mittlerweile auf drei mickrige, aber offenbar besonders hartnäckige Exemplare dezimiert hat, die ihnen nach wie vor wie Kletten an den Fersen kleben. Aber nichts davon hatte gefruchtet, denn der Knirps hinter ihr scheint nicht nur atem- und satzzeichenfreie Reden schwingen zu können, sondern hat offenbar auch Augen wie ein Luchs und zudem eine Art siebten Sinn, was das unrechtmäßige Entsorgen stinkender Diebesbeute betrifft. Immerhin hat sie aus ihm herausbekommen, dass sein vermisster Bruder auf den Namen Shem hört, dass sie aus dem Dörfchen Vierlinden im Larisgrün nordwestlich Talyras stammen, und dass es sich bei dem gruseligen 'Hexenmeister', den sie mitten im Wald getroffen haben, um niemand anderen handeln kann, als um den alten Druiden Daumengrün, der sie beim Fallenstellen erwischt und ihnen daraufhin einen ermüdenden Vortrag über die Verhaltensmaßregeln in ildorischen Waldgebieten gehalten hatte. Aulin erinnert sich lebhaft an das wirre Gefasel und meint, sie wären ihm nur entkommen, weil der Alte über seinen eigenen Reden eingeschlafen sei - und spätestens das räumt auch noch die letzten Zweifel an der Identität des geheimnisvollen Zauberers aus.

Caewlin, der den Grauen mal vor, mal neben ihnen herlenkt, kann über die haarsträubenden Geschichten nur grinsend den Kopf schütteln, als Aulin aber von dem Hof seiner Eltern und von den Arbeiten erzählt, für die sein Bruder Shem dort verantwortlich gewesen war, lauscht er jedoch aufmerksam den Worten des Kleinen. Shem, als ältester von sieben Geschwistern, hatte sich um die Tiere gekümmert und war seinem Vater auf den Feldern zur Hand gegangen; offenbar kann er mit Ochsen und Pferden umgehen, versteht etwas von Schweinen, Ziegen und Geflügel, kennt sich mit Feldarbeit aus, mit Pflug und Egge, Sense, Mistgabel und Dreschflegel. Wenn man davon ausgeht, dass auch nur ein Bruchteil von dem stimmt, was das mickrige Bürschchen hinter Ravens Rücken mit stolzgeschwellter Brust über seinen Bruder erzählt, dann scheint er ein recht patenter Kerl zu sein - und genau das, was sie brauchen. Von Aulins unablässigem Geplapper, der sengenden Hitze und dem Gestank, der dem Fisch in ihrer Hand entströmt, ist ihr mittlerweile schon ganz dösig im Kopf, und sie ist froh, als endlich die Mühle in Sicht kommt. Die Flussinsel - entstanden durch einen abgezweigten Wasserlauf des Llarelon, der nun als Mühlbach genutzt wird - ist nicht groß, Ravens Schätzungen nach sogar kleiner als das Seehausanwesen. Sie bietet gerade genug Platz für die Mühle mit ihrem gewaltigen Wasserrad, für einige Schuppen, gemauerte Lagerhäuser und Ställe, ein kleines Wohnhaus mit einem hübschen Küchengarten, und zum Fluss abfallenden Wiesen. Ulmen, Eschen und uralte Weiden, deren Zweige wie dichte, hellgrüne Vorhänge bis aufs Wasser hinabhängen, säumen die Ufer. Die breite, gepflasterte Straße, die von der Stadt her der Mühle zustrebt, führt über eine mächtige Steinbrücke über den Fluss zur Insel hinüber und endet in einem großen gepflasterten Hof. Es wäre ein idyllisches Fleckchen Erde, wären da nicht das ohrenbetäubende Klappern des Mühlrades und das Geschrei im Hof, in dem es im Augenblick zugeht wie in einem Ameisenhaufen.

Zwei große Fuhrwerke werden gerade abgeladen und zwischen den Wägen und der Mühle wimmelt es geradezu vor jungen Burschen, die sich mit den schweren Kornsäcken abplagen und sie ins dämmrige Innere des Mühlhauses schleppen, während ein großer, bärtiger Kerl - offenbar Mahlzahn, der Müller  - wie ein Feldherr seine Anweisungen herumbrüllt. Am Ende der Brücke zügeln sie die Pferde, beobachten aus einiger Entfernung das Treiben im Hof und versuchen, unter den umherkeuchenden Gestalten einen schwarzhaarigen Burschen auszumachen. Allerdings ist dies für jemanden, der den Jungen nicht kennt, beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, denn alle sind mit einer pudrigen, weißen Mehlschicht überzogen und kaum voneinander zu unterscheiden. Aulin zappelt derweil aufgeregt auf Halbmonds Rücken herum und verrenkt sich schier den Hals, um etwas zu sehen - und dann hat er ihn offenbar erspäht und überschlägt sich nahezu bei dem Versuch, möglichst schnell vom Pferderücken zu kommen. Er purzelt in den Staub neben Halbmonds Hufen, rappelt sich jedoch gleich wieder auf und rennt hopsend, schlenkernd und armerudernd auf einen Jungen zu, der bei seinem Anblick verdutzt innehält und den Hafersack, den er auf dem gebeugten Rücken trägt, zu Boden sinken lässt. Während Aulin auf ihn zugaloppiert, versucht sein Bruder offenbar die seltsame Szene zu enträtseln, die sich ihm bietet, und er starrt mit offenem Mund zuerst auf Aulin, dann auf das ungleiche Reiterpaar, dann auf den vor sich hin stinkenden Fisch, den Raven am ausgestreckten Arm und mit angeekelter Miene weit von sich hält, und dann wieder auf den mageren Bengel. Raven kann zwar nicht erkennen, was er aus all dem kombiniert, doch etwas Gutes scheint es nicht zu sein, denn er zieht finster seine Brauen zusammen und seine Miene nimmt einen Ausdruck wütender Sorge an. Kaum, dass sein kleiner Bruder ihn erreicht, packt er ihn auch schon an den Schultern und schüttelt ihn so herzhaft durch, dass Aulin klappernd die Zähne aufeinanderschlagen. "Wo warst du, du Herumtreiber?" hören sie ihn schnauben. "Ich sagte doch, du sollst an der Halle warten, ich komme noch mal zurück, nachdem ich beim Hafenmeister gewesen bin. Aber du warst nicht da, auch die Jungen wussten nicht, wo du bist. Kann ich dich denn nicht einen Moment allein lassen, ohne dass du gleich etwas anstellst? Das Fell sollte ich dir über die frechen Ohren ziehen, Himmelgötternochmal!"

Kleinlaut murmelt Aulin etwas von "so Hunger gehabt" und "Essen besorgen", aber Shem lässt ihn gar nicht erst richtig zu Wort kommen, sondern packt ihn grob am Hemdkragen und zerrt ihn unbarmherzig hinter sich her zu Caewlin und Raven, die inzwischen abgesessen sind und die Pferde näher herangeführt haben. Raven, die hastig die Umgebung sondiert und nach einer geeigneten Stelle sucht, an der sie das müffelnde Schuppengetier deponieren und somit unbemerkt loswerden kann, sieht sich in ihrem verzweifelten Vorhaben unterbrochen, als der mehlbestäubte Bursche in einigem Abstand vor ihnen stehen bleibt, den zappelnden Knirps noch immer fest am Kragen gepackt, und respektvoll den Kopf neigt. Angesichts seiner schmutzigen Füße, der abgerissenen Lumpen, die er trägt, und des verstaubten Gesichts, in das zahllose Schweißtropfen ein wildes Streifenmuster gemalt haben, eine seltsam komische und zugleich würdevoll anmutende Geste, die Raven zu einem Lächeln rührt. "Sire, Ma'am", nickt er ihnen zu, und es klingt so leidgeprüft und resigniert, als wäre es beileibe nicht das erste Mal, dass er diesem Lausebengel von kleinem Bruder aus der Patsche helfen muss. "Was für einen Unfug hat er denn diesmal wieder angestellt? Hat er etwas kaputt gemacht? Oder gestohlen?" Seine Augen zucken kurz zu der ramponierten Lachsforelle, bevor sie sich wieder auf Caewlin richten. "Wenn ich Euch etwas schuldig bin, dann sagt es, ich werde es bezahlen. Oder abarbeiten", fügt er nach einem bösen Blick auf Aulin hinzu. "Ich ... wir haben leider kein Geld." Während er ihnen seine höchst ehrbare Wiedergutmachung dessen anträgt, was sein Bruder ausgefressen hat, hat Raven Zeit, ihn zu mustern. Er mag vielleicht sechzehn Jahresläufe zählen und ist erstaunlich groß für sein Alter, und obwohl er mager wie ein Kleiderhaken ist, scheint er angesichts der schweren Kornsäcke, die er schleppen kann, gesund und kräftig zu sein. Seiner Gestalt haftet noch ein wenig von der ungelenken Schlaksigkeit eines Halbwüchsigen an, doch seine breiten, geraden Schultern, die langen Beine und die starken Hände lassen erkennen, dass er sich sicher zu einem ansehnlichen jungen Mann auswachsen wird. Er hat ein offenes Gesicht und freundliche, grüne Augen, und nach dem, was die Kruste aus Dreck und Mehlstaub von ihm preisgibt, scheint er ein recht hübscher Kerl zu sein. Aber das Leben hat ihn offenbar trotz seiner Jugend schon arg gebeutelt, und er wirkt wie ein Junge, der zu schnell und zu plötzlich erwachsen werden musste, nachdem ihm das Schicksal seine Eltern genommen und ihm die Verantwortung für einen achtjährigen, quirligen Tunichtgut aufgebürdet hatte.

"Keine Sorge", beruhigt Raven ihn, "er hat nichts ausgefressen. Na gut, fast nichts", korrigiert sie dann angesichts Caewlins süffisant hochgezogener Braue. Bevor sie fortfährt, tauscht sie einen Blick stillen Einverständnisses mit ihm -  ein kurzer, wortloser Austausch über den Jungen und darüber, ob sie ihm die Stellung als Knecht anbieten wollen. Caewlin, der ihn aufmerksam beim Arbeiten beobachtet hat, scheint nichts dagegen zu haben und nickt unmerklich. "Er ist uns mehr oder weniger zufällig vor die Füße gestolpert", erklärt Raven daraufhin weiter, "aber eigentlich sind wir hier, weil wir einen Knecht suchen. Der Hafenmeister hat uns gesagt, dass du von einem Hof kommst und in der Stadt Arbeit suchst." Einen Moment hält sie zögernd inne und runzelt nachdenklich die Stirn, während ihr Blick kurz zur Mühle und den schuftenden Jungen hinüber schweift, die sich mit den schweren Säcken abplagen. "Hm, aber anscheinend hast du hier ja schon Lohn und Brot gefunden." Shem starrt sie einen Augenblick lang vollkommen verständnislos an, bevor er zu begreifen beginnt. Aber dann funkelt in seinen Augen so etwas wie ein vager Schimmer Hoffnung auf. "Naja, nur vorübergehend", beeilt er sich zu sagen. "Einer der Müllersburschen hat sich den Arm böse zwischen den Mühlsteinen gequetscht und kann nicht arbeiten, und so lange, bis er wieder auf der Höhe ist, kann ich für ihn einspringen. Deswegen hat mich der Hafenmeister hergeschickt."
"Und weil du auf Schiffen kotzen musst", mischt sich Aulin Naseweis wichtig ein, was ihm von Shem einen unsanften Knuff in die Rippen einträgt.
Caewlin fragt ihn ein bisschen über die Arbeit aus, die er auf dem Hof seiner Eltern verrichten musste, und scheint zu dem Schluss zu kommen, dass sie es mit ihm als Knecht durchaus versuchen können. "Freie Kost und Logis, eine Kammer und ordentliche Mahlzeiten, Arbeitskleidung, Schuhe, und was sonst noch so üblich ist, und am Fayeristag einen Jahreslohn von zwanzig Silberlingen. Du arbeitest zwei Siebentage zur Probe und dann sehen wir weiter. Was sagst du?"

Titel: Re: Entlang des Llarelon
Beitrag von Caewlin am 09. Aug. 2006, 00:35 Uhr
"Er ist eine Plage."
>Aye. Und er stinkt wie ein ganzer Ziegenstall.<
"Er lügt und stiehlt und hat vor nichts Respekt."
>Er hat Flöhe. Und ein fürchterlich loses Mundwerk.<
"Wenn sein Bruder genauso ist, werden wir unseres Lebens nicht mehr froh..."
>Er flucht. Und er hat Manieren wie ein Gossenzwerg. Nur jemand, der nicht bei Verstand ist, würde sich einen von dieser Sorte ins Haus holen, von zweien gar nicht erst zu reden.<
Sie stehen in einer trotz der fehlenden Wände vollkommen hitzestickigen Lagerhalle, belagert von einem halben Dutzend magerer Hafenkatzen, waten bis zu den Knöcheln in blutigen Fischabfällen, schleppen eine Lachsforelle mit sich herum, die ihre besten Zeiten eindeutig hinter sich hat und allmählich schon grau wird, und versichern sich gegenseitig im Brustton der Überzeugung die Untauglichkeit ihres neuesten Anhangs. Besagter Anhang steht in ein paar Schritt Entfernung mutlos und mit hängenden Schultern herum, und stiert mit wilden Blicken in die Halle, als versuche er allein durch seine Willenskraft den verlorenen Bruder dort auftauchen zu lassen. >Er wird uns Läuse ins Haus tragen. Uns die Haare vom Kopf fressen. Brynden unflätige Flüche beibringen. Das Baby mit schrecklichen Krankheiten anstecken. Jeden in Grund und Boden quasseln. Und uns den letzten Nerv töten. Dalla wird tot umfallen, wenn wir dieses dreckstarrende, flohverseuchte Kerlchen anschleppen,< führt Raven als Schlussplädoyer an und spricht dann schicksalsergeben seufzend das Urteil: >Wir nehmen ihn mit.< Caewlin unterdrückt ein Lächeln, als sie zu dem Jungen hinübergeht, um mit ihm zu reden - er hat auf nichts anderes gehofft und im Grunde auch nichts anderes von ihr erwartet, und sie weiß es. Er hört sie leise mit Aulin sprechen, der sofort Feuer und Flamme dafür ist, seinen Bruder an der Weidenmühle zu suchen - allerdings besteht er auf der Mitnahme des Fisches, was ihnen beiden synchron angewiderte Grimassen in die Gesichter zaubert. Der folgende verbale Schlagabtausch zwischen seiner Frau und einem zornfunkelnden Achtjährigen, der glühend eine verwesende Forelle verteidigt, lässt Caewlin amüsiert in sich hinein lachen - bis zu dem Augenblick, in dem Aulin verkündet, der Fisch gehöre schließlich ihm, Raven sich geschlagen gibt, dem Jungen seinen Willen lässt und sich prompt an ihn wendet: >Wärst du dann bitte so liebenswürdig, deinen Fisch an dich zu nehmen, damit wir von dieser stinkenden Halle wegkommen?< "Meinen... was?!" Caewlins Brauen schießen in die Höhe und seine Augen weiten sich einen Moment überrascht, erfassen den reichlich zerfledderten Leichnam vor Aulins Brust und verfinstern sich augenblicklich. "Nicht in diesem Leben und nicht im nächsten, min koerlighed. Wenn sein Seelenfrieden von dem Fisch abhängt, soll gefälligst er ihn schleppen."

Raven bedenkt sowohl ihn selbst, als auch den Jungen mit zornfunkelnden Blicken und entscheidet dann resolut, sie würden reiten, sonst wäre die Zeit zu knapp, sie selbst nehme Aulin mit sich auf's Pferd, und er solle ihr den Fisch geben. Aulins schmutziges Gesicht, das sich bei der Aussicht, auf Halbmonds Rücken zu dürfen, schon in den reinsten Sonnenschein verwandelt hatte, schnappt augenblicklich wieder zu, und der Forellendisput beginnt von Neuem. Caewlin wirft einen beistandheischenden Blick an das schmutzige Hallendach drei Stockwerke über ihnen, von dem nur keine göttliche Fügung kommt, schüttelt den Kopf und steigt in den Sattel. Er sitzt längst auf dem Rücken des Grauen und grinst haarsträubend über diesen trotzenden Dreikäsehoch, als es Raven endlich zu bunt wird und sie Aulin freundlich, aber bestimmt erklärt, wenn er ihr jetzt nicht auf der Stelle den blöden Fisch überließe, würde sie ihm die Ohren langziehen, sie über seinem Kopf zusammenknoten und ihn postwendend wieder dem gefoppten Händler überlassen - samt dem stinkenden Ding. Das wirkt dann doch, der Knirps gibt schmollend klein bei, der Fisch siedelt in Ravens Obhut um, und sie können endlich aufbrechen. Der Anblick, den seine Frau, der Junge und die schuppige Verwesung auf Halbmonds Rücken bieten, lässt Caewlin dann allerdings doch noch laut auflachen: Raven thront mit ganz und gar indigniertem Gesichtsausdruck, gerümpftem Näschen und leiser Verzweiflung im Blick auf der zierlichen Wüstenstute, in der einen Hand die Zügel, in der anderen, so weit von sich gestreckt wie nur irgend möglich, den Fisch, und im Rücken ein schmutziges Klammeräffchen, das unter ihren Armen hindurch lugt und dabei pausenlos plappert. Selbst Halbmond zieht eine Miene, als wolle sie sich am liebsten die Nüstern zuhalten und stelzt hochbeinig durch die Armada der um ihre Hufe wimmelnden Katzen, die gar nicht daran denken, das vermeintliche Festmahl aufzugeben oder auch nur für einen Herzschlag aus den Augen zu lassen. So geht es ihren ganzen Weg über, und es kostet Caewlin einige Mühe und seine ganze Selbstbeherrschung, nicht jedesmal, wenn er das merkwürdige Quartett an seiner Seite ansieht, auf's Neue in breitestes Grinsen auszubrechen oder sich schier auszuschütten vor Lachen. Der Weg vom Hafen zur Weidenmühle beträgt ein gutes Stück und obwohl sie sich das unüberschaubare Gassengewirr des Handwerker- und Mogbarviertels sparen, und den größten Teil der Strecke am Llarelon entlangreiten, wo weit weniger Menschen unterwegs sind, sind sie mit dem Fisch und der Katzenprozession, die Attraktion am Fluß. Mehr als einmal bleiben Passanten stehen, lassen Wäscherinnen von ihrer Arbeit ab, sperren Gänsejungen Mund und Nase auf, um sie entgeistert anzustarren, oder setzen Flussfischer verdatterte Mienen auf. Caewlin grinst nur noch in sich hinein, Aulin ist ganz begeistert über so viel Aufmerksamkeit, Halbmond mit der Katzenplage vollauf beschäftigt, die Forelle trocknet auf das Allertraurigste vor sich hin und Raven... nun, Raven lächelt mit dem milden Gesichtsausdruck einer Priesterin, die eine heilige Reliquie durch die Massen trägt, huldvoll nach beiden Seiten.

Es ist das reinste Wunder, dass sie außer ein paar letzten, halbverhungerten Straßenkatzen, die absolut nicht aufgeben wollen, nicht auch noch eine Heerschar verwirrter Talyrer in ihrem Kielwasser mitschleppen, als sie endlich an der Flußinsel mit der Mühle anlangen. Aulins Mundwerk kann den ganzen Weg über keinen Herzschlag lang stillgestanden haben, und Caewlin ist mittlerweile widerstrebend zur Einsicht gelangt, dass die traurige Geschichte ihres kleinen Plagegeistes, so haarsträubend sie auch im Hafen noch geklungen haben mag, im Kern wohl wahr sein muss. Aulin hatte erzählt und erzählt, und dabei seinen Bruder als möglichen Knecht für sie so unermüdlich über den grünen Klee und in sämtliche Himmel gelobt, dass sie inzwischen neben den Anhaltspunkten "schwarzes Haar" und "grüne Augen" ein ganz gutes Bild von dem Jungen haben, den sie suchen (samt dem unschätzbaren Wissen um seine Lieblingsfarbe, sein Lieblingsessen, seine Angewohnheit Shentagshemden zu ruinieren, sämtliche Streiche, die er als Junge ausgeheckt hat, das erste Mädchen, das er - wahrscheinlich - geküsst hat, die Tatsache, dass er gern schnitzt und eigentlich eine Lehre als Schmied in Vierlinden anfangen wollte) - es nützt ihnen im Mühlenhof auf den ersten Blick nur nicht mehr viel. Erstens stehen im gepflasterten Quadrat zwischen Kornspeichern, Mühle und Haus zwei hochbeladene Fuhrwerke und es geht zu wie in einem Taubenschlag, und zweitens sind sämtliche Bauern, die ihr Korn abliefern, alle Mühlknappen und jeder Tagelöhner, der ihnen zur Hand geht, selbst der alte Mahlzahn, der auf dem hölzernen Ladesteg vor dem Kornhaus herummarschiert und Anweisungen bellt, großzügig mit weißen Mehlschichten überzogen. Aller Haar ist grau, alle Gesichter sind Masken aus Staub und Schweiß, und von keinem ist auf die Entfernung die Augenfarbe zu erkennen. Caewlin überblickt mit gerunzelter Stirn das geschäftige Hin und Her und tauscht einen Blick mit Raven, die jedoch nur ebenso ratlos den Kopf schütteln kann. Er holt gerade tief Luft, um mit dem lauten Ruf nach einem gewissen Shem das Klappern des Mühlrades, die Stimme Mahlzahns und alle übrigen Geräusche im Hof zu übertönen, als es Aulin plötzlich furchtbar eilig hat, von Halbmonds Rücken zu kommen. Der Knirps rennt hakenschlagend ins Gewühl davon und schnurstracks auf ein ziemlich hochaufgeschossenes Mehlgespenst mit kräftigen Schultern und Armen, und einem vielversprechend breiten Kreuz zu, das sich am Ende des ihnen am nächsten stehenden Wagens gerade mit einem schweren Mehlsack abmüht. "Wenn das Shem ist, dann hat Aulin wenigstens was seine Statur angeht nicht gelogen," murmelt Caewlin mit leiser Erheiterung in der Stimme. Und auch sonst mit sehr viel weniger, als du geglaubt hast... Ob der größere Junge schwarze Haare hat, ist nicht zu erkennen, denn er trägt ein staubiges Tuch um den Kopf gebunden und ist so weiß wie alle anderen. Es ist Shem, wie sich schnell herausstellt, doch statt brüderlicher Wiedersehensfreude, gibt es für Aulin erst einmal eine saftige Standpauke. Die Mischung aus verzweifelter Sorge und noch viel verzweifelterer Verärgerung, die sich dabei selbst durch Mehlmaske und Dreck auf Shems Gesicht abzeichnet, lässt Caewlin spontan Mitgefühl für den Jungen empfinden... es ist lange her, doch er hat nicht vergessen, wie es war, auf einen kleinen Bruder aufzupassen, der nichts als Unsinn im Kopf hat und ständig in Schwierigkeiten steckt.

Sie steigen von den Pferden und Raven versucht noch, die Gunst des Augenblicks zu nutzen, um den Fisch endlich loszuwerden, doch zu spät - Shem schiebt Aulin bereits in ihre Richtung und bemüht sich dabei tapfer, nicht allzu unsicher zu wirken. Der Junge ist groß, sicherlich sechs Fuß und zwei Zoll, und überragt damit jeden anderen Mühlknappen im Hof... doch nun scheint er mit jedem Schritt ein wenig mehr in sich zusammenzusinken. Sein Blick huscht fragend zwischen Raven, den stinkenden Forellenresten in ihren spitzen Fingern und Caewlin hin und her, als könne er nicht so ganz schlau aus dem werden, was er sieht, und auch so misstrauisch, als erwarte er jeden Augenblick eine schwere Tracht Prügel. Dann jedoch strafft er entschlossen die Schultern und fügt sich ins Unvermeidliche: >Sire, Ma'am. Was für einen Unfug hat er denn diesmal wieder angestellt? Hat er etwas kaputt gemacht? Oder gestohlen?< Will der Junge wissen, und bietet ihnen gleich darauf  - und ohne eine Antwort abzuwarten -, an, für alle etwaigen Schäden aufzukommen. >Wenn ich Euch etwas schuldig bin, dann sagt es, ich werde es bezahlen. Oder abarbeiten. Ich ... wir haben leider kein Geld,< fügt er zerknirscht hinzu. Raven beeilt sich, Shem mit einem freundlichen Lächeln zu versichern, dass Aulin nichts - oder immerhin fast nichts - ausgefressen habe, und sieht dann fragend zu ihm selbst hoch. Caewlins eben noch spöttelnd erhobene Braue senkt sich wieder. Es braucht nur einen einzigen Blick zwischen ihnen, nicht mehr, um sich zu verständigen. Sie wissen auch ohne jedes Wort genau, was der andere denkt, und so nickt er nur sacht... der Junge ist genau das, was sie gesucht haben, und Bethel dürfte ihn - und Aulin - auf der Stelle in ihr großes Herz schließen. Zwei Waisen, die sie nach Herzenslust bemuttern kann... Na, wenn das nichts ist... Dann fällt ihm etwas ein. Vorausgesetzt, wir können sie irgendwie an Dalla vorbei ins Haus schmuggeln, heißt das. Sie lässt die beiden so ja noch nicht einmal in die Nähe der Türschwelle... Schon mit praktischen Gedanken darüber, wie und wo sie die Jungen am besten in einen einigermaßen vorzeigbaren Zustand bringen könnten, um sie ihrer Obersten Magd zu präsentieren, und angesichts der Tatsache, dass Shem bereits nervös genug ist, überlässt es Caewlin Raven, ihm von ihrer Begegnung mit Aulin und ihrer Suche nach einem Knecht zu berichten. >Er ist uns mehr oder weniger zufällig vor die Füße gestolpert, aber eigentlich sind wir hier, weil wir einen Knecht suchen. Der Hafenmeister hat uns gesagt, dass du von einem Hof kommst und in der Stadt Arbeit suchst... Hm, aber anscheinend hast du hier ja schon Lohn und Brot gefunden.< Unter der Mehlstaubmaske herrscht einen Moment lang pures Nicht-Begreifen, gefolgt von der Verwirrung eines Menschen, der eigentlich damit rechnet, vom Regen in die Traufe zu kommen und plötzlich unter einem schützenden Dach steht, dann keimt vorsichtig Hoffnung in den grasgrünen Augen auf. Der Junge sprudelt hastig hervor, das hier sei nur vorübergehend, während Aulin frech dazwischenkräht, was ihm einen derben Rippenstoß seines Bruders und einen strengen Blick von Caewlin einträgt. Shem dagegen starrt mit so mühsam verhohlener Erwartung von Raven zu ihm selbst und wieder zurück zu Raven, dass sie beide mit einem Lächeln kämpfen.  

"Aye, wir suchen einen Knecht," mischt Caewlin sich ein und setzt umgehend sein unergründlichstes Gesicht auf. Er will den Jungen bestimmt nicht hinhalten, aber er ist auch nicht bereit, die Katze im Sack zu kaufen. "Jung und kräftig scheinst du zu sein," fährt er fort und umrundet Shem einmal, während er ihn aufmerksam mustert. "Ich nehme an, du kannst einen Wagen fahren, kennst dich mit Feldarbeit aus, mit Heu machen, mit Aussaat und Ernte? Du kannst mit Kleinvieh, Schafen, Ziegen und... Schweinen umgehen?" Er tauscht einen Blick mit Raven, die bei der Erwähnung von Schweinen eingedenk ihrer ganz besonders reizenden Muttersau besorgt die Stirn in Falten legt, und fügt der Gerechtigkeit halber hinzu: "Mit besonders... rabiaten Schweinen?" Shem nickt nur ein wenig verwundert, doch Aulin zieht ein so finsteres Gesicht, als wolle er gleich dazwischenfahren, schließlich hatte er ihnen das alles auf dem Herweg schon lang und breit erklärt, hält aber angesichts von Caewlins warnender Miene den Mund. "Gut." Er lässt den Jungen ein wenig von seinem Zuhause erzählen, stellt gezielte Fragen nach der Größe der Felder, der Art, wie sie bestellt worden waren, ihrem Viehbestand, dem Korn, das sie angebaut hatten und Shem gibt auf alles bereitwillig Auskunft. Der Hof war nicht groß, die beiden stammen aus einer einfachen Kleinbauernfamilie mit zu wenig Land und zu vielen Kindern, aber auch wenn sie nie viel gehabt hatten, hungern hatte keiner von ihnen müssen - bis zum vergangenen Sommer. Die Masern, berichtet Shem mit stockender Stimme, seien wie eine Plage der Neun Höllen über Vierlinden und die Weiler der Umgebung hereingebrochen, und schon nach einem Siebentag seien viele gestorben. Zuerst ihre Mutter, dann das Baby, ihre beiden jüngsten Schwestern, dann der Vater und ihre kleineren Brüder zuletzt. Man habe nach einem Priester und Heilern geschickt, doch bis Hilfe eingetroffen war, seien die meisten Dorfbewohner, die erkrankt waren, bereits tot gewesen und niemand habe sie aufnehmen oder ihnen auf dem Hof helfen können. Sie hatten versucht, ihn allein zu bewirtschaften, doch es hatte nicht funktioniert, die Ernte war ihnen zur Hälfte verdorben, sie hatten den Zehnten nicht zahlen können und aufgeben müssen... also waren sie nach Talyra gekommen mit nichts als ein paar Kupferling in den Taschen und in noch größeres Elend geraten. "Aye, das ist jetzt vorbei. Wir versuchen es mit dir. Freie Kost und Logis, eine Kammer und ordentliche Mahlzeiten, Arbeitskleidung, Schuhe, und was sonst noch so üblich ist, und am Fayeristag einen Jahreslohn von zwanzig Silberlingen. Du arbeitest zwei Siebentage zur Probe und dann sehen wir weiter. Was sagst du?"
Shems Augen werden groß wie Suppenschalen bei diesen Aussichten und er rupft sich hastig das Tuch vom Kopf. Für einen Augenblick hüllt ihn eine Wolke Mehlstaub ein, dann fällt ihm dichtes Haar, schwarz wie Kohle, strähnig bis auf die Schultern. Hmpf. Wie war das mit dem hässlichsten Kerl, den ich finden kann?

"M-m-m'lord, ja," stottert Shem, der inzwischen seine Sprache wiedergefunden hat und mit den fest zusammengeballten Händen sein Tuch erwürgt, "M'lady, ich weiß nicht, was ich... das wäre... wundervoll, ich meine, das... das... das... geht nicht." Einen Moment lang stiert der Junge auf seine dreckigen Zehen, dann hebt er den Blick wieder. "Was wird aus Aulin? Ich kann ihn nicht allein lassen. Aulin ist..."
Während Raven und Caewlin noch einen verblüfften Blick wechseln, ist Aulin offenbar der Meinung, sein Bruder sei vollkommen übergeschnappt und tritt ihm kräftig vor's Schienbein. "Bist du verrückt?" Zischt er und gestikuliert wild mit den mageren Ärmchen. "Du gehst mit ihnen! Sie suchen einen Knecht, du kannst ein Knecht sein. Zwanzig Silberlinge, Shem, und du hast ein Zuhause und jeden Tag etwas zu essen. Du kannst mir ja was abgeben... ich pass schon auf mich auf! Ich finde auch was für mich. Shem, sei doch nicht blöd..." Shem reibt sich erbost sein schmerzendes Bein und faucht: "Sei still, du weißt ja nicht, was du redest!" Dann wirft er ihnen einen entschuldigenden Blick zu. "M'lord, M'lady, es tut mir leid, aber..." Caewlin schüttelt den Kopf, verbirgt sein Lächeln hinter einer gleichmütigen Maske, streicht seiner Frau eine windverwehte Haarsträhne aus dem Gesicht und drückt ihr die Zügel des Grauen in die Hand. "Kannst du ihn kurz halten? Ich rede mit Mahlzahn." Er beachtet die beiden Streithähne, die immer noch damit beschäftigt sind, wild aufeinander einzureden, überhaupt nicht mehr, sondern drängt sich durch das Gewimmel der Mühlknappen und nimmt den Müller kurz beiseite. Allen Göttern sei Dank lässt sich wenigstens diese Angelegenheit ohne Schwierigkeiten regeln, und als er nach ein paar Minuten wieder bei seiner Frau, den Pferden, dem immer noch vor sich hinmodernden Fisch und den beiden Jungen ankommt, ist Shem gerade dabei, Aulin zu erklären, was einem Jungen in seinem Alter auf den Straßen einer so großen Stadt alles geschehen könnte, dass er ihn auf gar keinen Fall allein lassen würde und er solle jetzt bloß seinen vorlauten Mund halten, und...
"Aye, du Ausbund an Tugend und Ritterlichkeit," unterbricht Caewlin ihn mitleidlos, aber nicht einmal unfreundlich. "Wenn du soviel Wert darauf legst, auf diesen Tunichtgut aufzupassen, den du Bruder nennst, dann schlage ich vor, du hilfst ihm beim Aufsteigen. Wir reiten jetzt. Die Sonne steht schon hoch und wir haben heute auch noch anderes zu tun, als hier in der Hitze zu schmoren. Mahlzahn hat dich gerade aus seinem Dienst entlassen, ich nehme dich in meinen. Und das heißt, dass zu Hause schon drei hübsche Zaunpfähle auf dich warten, die erneuert werden müssen, also beweg dich, Junge. Aulin, in den Sattel mit dir."
Der Knirps grinst von einem Ohr zum anderen und in seinen Augen leuchtet ein triumphierender Wusst'-ich's-doch-Blick, doch als er sich suchend nach seiner Forelle umsieht, schütteln sowohl Raven, als auch Caewlin energisch die Köpfe. "Oh nein, mein Freund - ohne das stinkende Ding!"

-> Seehaus



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