Weltenstadt.de >> Forum (http://forum.weltenstadt.de/)
Das Rollenspiel >> Das Umland >> Die alte Wolfshöhle
(Thema begonnen von: Yamawadee am 27. Nov. 2005, 19:29 Uhr)

Titel: Die alte Wolfshöhle
Beitrag von Yamawadee am 27. Nov. 2005, 19:29 Uhr
Folgt man dem Ufer des Ildorel eine ganze Weile außerhalb der Stadt, dort wo kaum eines Wanderers Fuß mehr nach festen Wegen sucht, findet man ungefähr hundert Schritt in den Wald hinein einen dichten Teppich aus wild wuchernden Himbeer- und Brombeersträuchern. Besonders im Herbst steigt daraus der Duft der süßen Beeren und so manches kleine Tier findet unter dem dichten Dornengestrüpp Schutz. Davon eingegrenzt ragt dichtes Dickicht empor, junge Bäume und grünblättrige Farne, umwoben von allerlei Ranken und durchsetzt mit abgestorbenen Zweigen und umgeknickten Bäumen. Auf den ersten Blick mag es scheinen, dass jedes Weiterkommen durch Unterholz und Gesträuch verwehrt bleibt, doch dem genauen Beobachter entgehen nicht die Lücken im Unterholz, die sich fast unsichtbar zwischen den jungen Stämmen öffnen. Aus welchen Gründen auch immer jemand diesen verschlungenen Gängen folgt, sei es aus Hoffnung auf eine erfolgreiche Jagd, klingt doch die verheißungsvollen Laute zahlreicher Waldtiere daraus hervor, oder sei es aus reiner Neugierde, die ihn den beschwerlichen Weg zwischen Kriechen und Klettern zurücklegen lässt, nach einiger Zeit wird er mit Erstaunen feststellen, wie sich das Dickicht vor ihm öffnet und sich stattdessen eine kleine Lichtung mit hohen wilden Gräsern und Kräutern vor ihm ausbreitet.

Der kleine Platz selbst misst ungefähr vier mal sechs Schritt, dann endet er abrupt vor einer steilen Felswand, die ebenso hoch ist wie das umstehende Gestrüpp. Der über zwei Schritt hohe Vorsprung gehört zu einem lang gestreckten halbmondförmigen Hügel, der zu den anderen Seiten flach ausläuft. Nur an dieser Stelle wirkt es, als habe jemand ein Stück herausgebrochen, sodass der schroffe Felsen zutage tritt. Wer nicht den umständlichen Weg durch das Dickicht zurück will, der sieht sich gezwungen, den Vorsprung zu erklimmen, was jedoch ohne entsprechende Ausrüstung nicht zu schaffen ist, da das lose Erdreich keinen Halt für Hände und Füße bietet.

Erst auf den zweiten Blick zu erkennen ragt ein dunkler Schlund hinter den hohen Gräsern aus der Felswand, dessen Eingang von herabhängenden Wurzeln zur Hälfte verdeckt ist. Wer sich dennoch hineinwagt, wird von einem steinigen Gang empfangen, der gerade hoch genug ist, um in gebeugter Haltung passiert zu werden. Schon nach wenigen Schritten fällt der Weg steil ab und führt durch das Erdreich tiefer in den Berg hinein. Wer nicht gerade über die Augen einer Katze oder eine Fackel verfügt wird bald nicht einmal mehr die Hand vor Augen sehen und so werden ihm auch die zwei kleinen Nebenhöhlen entgehen, die links und rechts des Pfades in die Wand hineinragen.
Die rechte befindet sich näher am Ausgang und führt als langer schmaler Tunnel um zahlreiche Biegungen und Kurven. An etlichen Stellen sind Erde und Steine aus der Wand gebröckelt und versperren zum Teil den Weg. Wer es trotzdem schafft, das Ende zu erreichen, der findet sich vor einer verschütteten Wand wieder. Dort hat das Erdreich sich in den Tunnel ergossen und verhindert ein Weiterkommen. Nur ein leises Bröckeln von Mal zu Mal kündet davon, dass sich auf der anderen Seite weitere Hohlräume erstrecken.
Folgt man jedoch dem Pfad zur Linken des Hauptganges, so steht man bald schon in einer mittelgroßen Höhle, die in ihrer Form einer ungleichmäßigen Kartoffel ähnelt. Die Wände sind gut erhalten und nicht so zerstört wie die des anderen Ganges. Allerdings ist der Raum zu niedrig um aufrecht zu stehen, sodass größere Menschen darin Kopf und Schultern einziehen müssen.
Am Ende des Hauptganges macht der Weg vor einem großen Felsen einen Knick und führt nach rechts in einen geräumigen Bau, dessen Größe in etwa der der Lichtung vor dem Höhleneingang entspricht, auch ist der Raum hoch genug, so dass ein ausgewachsener Mensch bequem darin stehen kann. Wurzeln und Steine ragen aus Decke und Wänden. Der Boden des Baus ist ganzjährlich trocken, da von unten das Felsgestein die Höhle vor Grundwasser schützt. Wer in der Finsternis sehen kann, wird an einigen Stellen noch die Abdrücke von einer Wolfsfamilie entdecken und auch der starke Geruch, der besonders Jagdhunde in die Höhle zu locken vermag, erinnert an die Graupelze, die ehemals diesen Hügel bevölkerten.

Titel: Re: Die alte Wolfshöhle
Beitrag von Yamawadee am 27. Nov. 2005, 19:31 Uhr
Um sein Bein nun doch endlich ein wenig zu schonen, beschließt Yamawadee, den Weg durch das Gesträuch anzutreten. Es behagt ihm zwar gar nicht, schon wieder die Gestalt zu wechseln, doch als Panther ist es wesentlich leichter, durch die Schlumpflöcher den Pfad zur Höhle zu finden. Während er also eine Pfote nach der anderen durch die dornigen Sträucher setzt, begutachtet er, was die Waldtiere und Vögel von den Früchten übrig gelassen haben. Doch seine Sorge ist unberechtigt. Überall in dem grünen Feld ragen schwarz und rot glänzende Stauden zwischen den Dornen hervor und verheißen eine reiche Mahlzeit, jedem der bereit ist, den Weg durch Stacheln und widerborstige Zweige anzutreten. Einen Augenblick verharrt er und schnuppert. Seine Spürhaare zittern ganz sacht in der Luft, als er den Geruch der Früchte in sich aufnimmt. Ein quälendes Gefühl sitzt ihm im Nacken, als habe er etwas vergessen, wie ein Traum, der zu schwach ist um sich daran zu erinnern, der aber wie ein dumpfer Nebel im Gedächtnis aufleuchtet und leise Erinnerungen hinterlässt, zu matt, um ein Bild zu erzeugen. Doch mit jedem Atemzug, in dem er den süßen Duft in sich aufsaugt, kommt ihm das Ganze ein Stück bekannter vor, bildet sich zusehends deutlicher etwas aus seiner Erinnerung heraus. Jemand. Verärgert schüttelt der Panther das schwarze Haupt und verschwindet mit einem Satz im Dickicht.
Shyada, sie hat danach gerochen, nach Beeren und Früchten. Ein verächtliches Schnauben drängt den Gedanken an sie hinweg. Warum muss sie ihn auch noch in Gedanken verfolgen? Alles was er will ist ein wenig Ruhe um seinen Verstand zu ordnen. Doch wie soll das gehen, wenn schon ein paar lumpige Büsche ihn an sie erinnern. Dabei empfindet er nicht einmal etwas für sie, nur Wut und Neugierde mischen sich, sobald ihr Bild in seinen Gedanken auftaucht. Doch momentan hat er weder auf das eine noch das andere Lust. Nicht einmal das Rascheln von kleinen Tieren im Gestrüpp kann seine Laune heben. Es ist noch nicht einmal Mittag und schon hat es dieses Weib geschafft, mir den Tag zu verderben, toll… Verflucht noch mal, warum geht Ihr mir nicht aus dem Kopf?  Während er weiter über Äste und Zweige klettert, grübelt er, ob wohl irgendein Magier dieser Welt einen Trunk gegen Neugierde besitzt. Und gegen Erinnerung. Das Leben wäre ohne Beides um so vieles einfacher.
Dann überquert er mit einigen schnellen Schritten die kleine Lichtung und macht sich an den Abstieg in die Höhle. Als er an dem rechten Nebengang vorbeikommt, intensiviert sich der Geruch nach Wolf noch mehr, darin der modrige Dunst von verwesten Tieren. Angeekelt schüttelt der Panther den Kopf und Falten krausen sich über seiner Nase. Den Gang sollte ich als letzten erkunden. Wer weiß, was diese Jaulballen dort versteckt haben. Eilig geht er daran vorbei und humpelt erleichtert in den geräumigen Bau am Ende des Ganges. Das Rebhuhn liegt noch immer dort, unangetastet wie er es hat fallen lassen. Sein Magen meldet sich wieder zu Wort und unweigerlich läuft ihm das Wasser im Maul zusammen, als ihm der blutige Geruch des Vogels in die Nase dringt. Doch sein Hunger muss warten. Das Tier ist entgegen seiner Hoffnung kalt und steif. Jetzt die Federn rupfen zu wollen, erscheint ihm ein sinnloses Unterfangen. Zwar hätte er gerne eine schnelle Mahlzeit gehabt, doch vergeht ihm der Appetit, wenn er an das fusselige Gefieder denkt. Nachdenklich schweift sein Blick durch den Raum, doch nirgends findet sich etwas, das halbwegs brauchbar aussieht, weder zum Feuer machen noch um als Messerersatz zu dienen.
Mit einem mürrischen Knurren wendet er seinen Schritt wieder aus der Höhle hinaus, den Gang hinauf und von der Lichtung durch das Gestrüpp zum Ufer. Er hat keine Lust auf Beeren, süßes Blut und das zarte Fleisch des Vogels wären ihm lieber, aber nicht mit Federn zwischen den Zähnen. So beschließt er, nach Feuersteinen Ausschau zu halten oder nach halbwegs brauchbarem Gestein, das sich zu einem behelfsmäßigen Messer verarbeiten lässt, um das Fleisch später in Streifen zu schneiden und trocknen zu können. Auf dem Rückweg könnte er allemal noch Beeren sammeln, um sie seiner Mahlzeit und seiner Speisekammer hinzuzufügen. Mit gesenktem Haupt trottet das schwarze Tier am Ufer entlang. Seine blauen Augen suchen fieberhaft nach passenden Steinen, doch Sand und Kiesel scheinen alles zu sein, was die Fluten des Ildorel am Ufer lassen. So passiert es nicht selten, dass in immer kürzeren Abständen derbe Flüche über seine Lippen kommen, während er mit den Pfoten unwirsch im Sand kratzt um Gestein freizulegen. Doch mitten im Laufen stößt seine Pranke gegen ein Felsstück, das kaum weiter als eine handbreit aus dem Ufer ragt. Interessiert beäugt er es und beginnt gleich darauf eifrig mit den Krallen den Boden rings um den Stein zu bearbeiten. Obwohl er mit aller Kraft seine Pranken gegen die Erde rammt und mit den Klauen immer größere Erdstücke herausreißt, dauert es eine ganze Weile, ehe der Brocken sich endlich bewegen lässt. Schließlich gelingt es Yamawadee keuchend das Stück aus dem Boden zu zerren. Noch während er es betrachtet, nimmt er wieder menschliche Gestalt an, denn er verspürt nicht das geringste Verlangen, den Stein im Maul zur Höhle zu tragen. Nachdem er das Felsstück im Wasser gereinigt hat, macht er sich auf den Weg zurück. Der Hunger ist mittlerweile so groß, dass er beschließt, doch sein Frühstück auf eine Beerenmahlzeit zu verlegen. Beinahe erleichtert lässt er sich im Schneidersitz auf dem Waldboden vor den Sträuchern nieder, den Stein im Schoß und beginnt, die saftigen Früchte abzurupfen und seinen Hunger an ihrem süßen Fruchtfleisch zu stillen. Besser als nichts ist es allemal, dennoch trauert er der verpassten Fleischmahlzeit hinterher. Für diesen Augenblick gelingt es ihm sogar den Ärger und Shyada zu vergessen.

Titel: Re: Die alte Wolfshöhle
Beitrag von Yamawadee am 01. Dez. 2005, 17:07 Uhr
Immer weiter sind die Tage verflossen, einer nach dem anderen, wie Perlen die auf eine Schnur gereiht werden. Die Zeit vergeht jedoch schnell und Yamawadee ist viel zu beschäftigt, um noch einmal an Shyada zu denken. Glaubt er zumindest. Doch gerade wenn er wieder einmal am Ufer des Ildorel spaziert oder in kalten Nächten durch den Höhleneingang Sterne zählt, scheint ihm alle Zeit so weit entfernt. Dann glaubt er zuweilen, es müsse Jahre her sein, dass er mit dem Schiff in Talyra ankam und Shyada begegnete. Doch wie immer färbt die Erinnerung vieles schöner, als es war und so überkommt ihn nicht selten die Neugierde, der jungen Amazone einen Besuch abzustatten. Eigentlich nicht wegen ihr, sondern den Erinnerungen zuliebe. Denn was diese Zeitlosigkeit herbeiführt ist auch das Vergessen. In Shyadas Gegenwart war ihm viel mehr von seiner Gefährtin im Gedächtnis gewesen und je länger die Nächte werden, desto mehr entfällt ihm, desto schuldiger fühlt er sich, dafür, dass er dabei ist, sie zu vergessen. Schon einige Male ist er verstohlen in der Nähe der hölzernen Hütte umher geschlichen, hatte sich dann aber jedes Mal über sich selbst geärgert und den Rückweg in den Wald angetreten, stets darauf bedacht, unbemerkt zu bleiben.

Dass draußen schon zum wiederholten Mal eine federweiße Schicht das Gras bedeckt, entlockt Yamawadee nicht gerade Freudensprünge. Bisher hat er die verschneiten Tage in seiner Höhle verbracht und dort für etwas Behaglichkeit gesorgt, doch langsam treibt es ihn trotz der Kälte ins Freie. Schon allein das Gefühl von Gefangenschaft lassen ihm die graubraunen Wände unerträglich erscheinen.
In der Haupthöhle ist mittlerweile ein kleines Lager aus Pelzen und Federn entstanden, das ihn auch in menschlicher Gestalt des Nachts wärmt. Zumindest jetzt noch. Doch wenn sich draußen erst Schneewehe über Schneewehe türmt, würde er wohl doch als Panther die Nächte verbringen müssen, denn spätestens dann wäre das alte Kleid der erste Grund, den nächsten Morgen als Eisklotz zu erleben. Unter den Fellen ragt knisterndes Stroh hervor, das er vor dem Herbst noch als Bett hatte retten können und an der gegenüberliegenden Seite glimmen in einer Erdkuhle die letzten Aschereste eines Feuers. Der Duft von verbranntem Holz streicht noch durch die Höhle und hinterlässt die sanfte Erinnerung an eine lange Nacht, in der er sich mehr schlecht als recht an einem Mantel probiert hat. Das Ergebnis liegt zusammengeknüllt auf seinem Lager und scheint ihm durch sein trauriges Aussehen ein schlechtes Gewissen bereiten zu wollen, wie er es hat wagen können, die schönen Pelze für solch eine Scheußlichkeit zu missbrauchen. Doch es ist ihm nicht leid um die Felle. Noch fehlt ein Ärmel an dem Mantel und die linke Seite ist noch zu kurz, doch schon jetzt verheißt ihm das neue Kleidungsstück ein wenig mehr Luxus in der kalten Jahreszeit. Ja, er kann sogar sagen, dass er stolz auf sein Werk ist, auch wenn es nicht gerade wie vom besten Schneider Talyras aussieht. Wenn er es recht betrachtet, würde man so wenig Talent nicht einmal einem Lehrling zutrauen. Doch für seine Zwecke ist es gleichwohl ausreichend.
In der niedrigen Nebenhöhle hat Yamawadee mittlerweile einiges an Trockenfleisch und verschiedenen Waldfrüchten gelagert. Von den Wurzeln, die wie Schnuren von der Decke hängen baumeln getrocknete Pilze und Kräuter. In einer Ecke hat er sogar verschiedene Darmstücke aufgehängt, die ihm trocken als Zwirn für seine spärlichen Nähkünste dienen. Um sich teures Garn aus der Stadt zu besorgen fehlt ihm eindeutig das Geld. Abgesehen davon hat es ihn seit seiner Ankunft kein einziges Mal dorthin verschlagen. Anfangs war es aus reiner Bequemlichkeit, da er keinerlei Drang verspürte, irgendwelchen Wildfremden bei ihren Jammertiraden ein neues Haus zu errichten oder womöglich in der Kälte stundenlang Zeug durch die Gegend zu schleppen. Wenn im Frühjahr wieder größere Handelskarawanen und Reisende in Strömen die Stadt besuchen, wird er sich auf den Weg machen. Denn dann sollte ein zerlumpter Einzelgänger in der Masse eher untergehen, anstatt noch die Aufmerksamkeit der Stadtwache auf sich zu ziehen.

Mit halb geschlossenen Lidern liegt der Panther im Eingang der Höhle und starrt trüben Sinns auf das dunkelbraune Gras und die Stellen, an denen das gefrorene Laub aus der dünnen Schneeschicht ragt. Mit einem leisen Knurren legt er den Kopf auf die ausgestreckten Pfoten und seufzt. Es muss doch noch andere geben. Ich kann doch nicht der einzigste sein… Seit er Shyada das letzte Mal gesehen hat, ist er keiner Menschenseele mehr begegnet. Nicht weiter verwunderlich, da sich wohl kaum jemand, der nicht gerade auf der Jagd ist, soweit ab von allen Wegen im Wald herumtreibt. Gelangweilt rollt er sich auf die Seite und hascht mit der Pfote nach einer Schneeflocke. Doch statt sie zu erwischen zieht er die Tatze wieder ein und stemmt sie gegen den Höhleneingang. Genug faul rumgelegen. Du frierst noch am Boden fest, wenn du hier bleibst! Mit einer raschen Bewegung kommt er auf die Pfoten und macht einen krummen Buckel, um gleich darauf den Rücken durchzudrücken und sich ausgiebig zu dehnen. Ein zufriedener Ausdruck legt sich in die eisblauen Augen der Raubkatze. Wie zur Routine läuft er noch einmal durch den Bau, vorbei an der Vorratskammer, in deren Ecke den Dolch erspäht, den er im Herbst aus dem Wasser gefischt hat. Das Ding ist zwar halb verrostet und taugt als Waffe noch weniger als zur Jagd, denn dafür sind ihm seine Zähne und Krallen tausendmal lieber, aber gerade beim Zerlegen von Fleisch möchte er es nicht missen. Er bleibt einen Augenblick stehen und betrachtet die Klinge. Das Grinsen auf seinem Gesicht wird ein kleines Stück breiter, bis die Fangzähne weiß zwischen den schwarzen Lippen hervorleuchten. Es ist eine Waffe. Eine, die ihm gehört. Selbst wenn er damit nicht umgehen kann, aber bisher waren es nur die anderen, die Waffen besitzen durften. Für einen wie ihn war das undenkbar. Doch jetzt gehört das Messer ihm und es erfüllt ihn mit Stolz, die zerschrammte Klinge zwischen den Fingern zu wenden. Ein Dummkopf und Narr in einer Höhle, meint er schmunzelnd zu sich selbst und wirft noch rasch einen Blick in den rechten Seitentunnel. Der ekelerregende Wolfsgestank ist aus der Höhle verschwunden, seit die Kälte eingesetzt hat. Doch da der Gang sowieso verschüttet ist und bis zum Frühjahr die Erde hart und kalt bleibt, will er sich gar nicht erst daran versuchen, jetzt schon seinen Bau zu vergrößern. Aber irgendwann… Dann leben vielleicht noch andere hier. Oder er bei ihnen. Sein Gesicht wird traurig, während er in den schwarz gähnenden Tunnel starrt. Gibt es denn überhaupt noch andere… und wird er sie jemals finden? Als er sich seiner Gedanken bewusst wird, bemüht er sich, sie zu verdrängen. Es lohnt nicht. Wer sollte ihm hier schon sagen können, wo er seinesgleichen zu suchen hat?

(--> Das Pfahlbaumhaus)

Titel: Re: Die alte Wolfshöhle
Beitrag von Yamawadee am 21. Apr. 2006, 21:55 Uhr
[von: Kaney’s Hütte]
Sein Heimweg führt ihn keine Straßen entlang, vielmehr querfeldein durch den Wald. Seine Fußsohlen brennen wie Feuer. Er ist schon eine geraume Weile gelaufen, als er sich kurz auf einen eingeschneiten Baumstumpf hockt, der sich wie ein rundes weißes Kissen unter dem Schnee andeutet. Vorsichtig betastet er seine Zehen. Beide Füße sind heiß und geschwollen, die Zehen dick und steif, dass er sie nicht spreizen und bewegen kann. Das erklärt zumindest, warum er läuft, als hätte er sich Bienenkörbe an die Füße geschnallt…
Ein verärgertes Knurren rasselt heiser durch seine Kehle. Das gibt ein paar schöne Blasen, darauf kann er sich verlassen! Wirklich hervorragend! Es jagt sich auch ausgezeichnet mit brennenden Pfoten, mal abgesehen davon, welch Grazie er – ob Panther oder Mensch – an den Tag legt, wenn jeder Schritt wie ein Tritt auf heißen Kohlen ist. Jeden Winter derselbe Mist!! Warum kann er es auch nicht einen Winter lang schaffen, sich nicht die Sohlen abzufrieren? Oh ja, exzellente Nächte und Tage stehen ihm bevor… mit sehr, sehr wenig Schlaf… wie soll man auch ein Auge zutun, wenn beide Füße ununterbrochen wehtun, als wären sie im Dauerschlaf, egal ob er sie bewegt oder nicht?
Knurrend setzt er seinen Weg fort. Es ist ihm gleich, ob jemand ihn hört oder nicht, doch wer auch immer in der Nähe sein mag, es entgeht wohl keinem, dass Yamawadee mittlerweile bei jedem Schritt alles verflucht, was sich in seiner Umgebung befindet, angefangen beim Schnee, über keckernde Eichhörnchen, weiter über umgestürzte Bäume bis hin zu dem allgemeinen Umstand, dass ein menschlicher Körper eben nicht so gut an Kälte angepasst ist wie ein schwarzfelliger Panther… bis ihm knapp vor seiner Höhle auffällt, dass in mindestens jedem vierten Fluch wieder das Wort „Shyada“ fällt.
Einen letzten Fluch auch noch darüber verlierend verschwindet er schließlich im Bau und bald ist Ruhe eingekehrt in der einsam gelegenen Höhle, nur wer ganz genau lauscht, kann das gleichmäßige tiefe Atmen eines Schlafenden unter der Erde hören…

Titel: Re: Die alte Wolfshöhle
Beitrag von Yamawadee am 22. Apr. 2006, 19:11 Uhr
[Frühlingsbeginn]

Trockenes Geäst knirscht unter seinen nackten Füßen und altes Gestrüpp bricht knackend unter seinem Gewicht zusammen, als er sich einen Weg durch das dichte Gesträuch zu seiner Höhle bahnt. Es ist lange her, dass er die verworrenen Gänge und engen Lücken in dem wilden Unterholz passiert hat und seit Beginn des Frühlings scheinen sich die jungen Bäume und Sträucher darin kaum zurückhalten zu können und wuchern, wurzeln und treiben aus, als wäre es das letzte Mal in ihrem vielleicht Jahrhunderte lang währenden Leben. Obwohl hier und da noch überall kleine Schneepfützen den Waldboden mit weiß schimmernden Flecken zieren setzt sich die Sonne mehr und mehr durch, sodass das erste Grün bereits das Gebiet vor seiner Höhle in ein labyrinthartiges weit verzweigtes Gebüsch verwandelt hat, unter dessen Blättern kaum der Schein des Lichtes zu sehen ist, gerade so, als wollten die Bäume und Sträucher mit aller Macht die Kraft der Sonne an sich reißen.
Behutsam steigt er das letzte Stück über einen umgefallenen Baumstamm hinweg, der wohl schon seit Anbeginn der Zeit dort rotten mag und schiebt die tiefhängenden Zweige beiseite, bis sich vor ihm endlich die kleine Lichtung offenbart, auf der ein kahler Fleck nun deutlicher als noch im letzten Herbst einem Fremden verrät, dass die Höhle im Hügel bewohnt ist.
Das junge Gras ist angenehm an den zerschundenen Fußsohlen, die zwar nicht mehr wund wie im Winter, aber noch immer rau sind von den aufgerissenen Blasen, die das Eis in seine Füße gebrannt hatte. Achtlos lässt Yamawadee ein paar gesammelte Rindenstücke fallen, die er soeben aus dem Wald besorgt hat. Es ist zwar weitaus angenehmer, nachts zu jagen und dafür den Tag zu verschlafen, aber heute hat es ihn doch eher in den Tag verschlagen und so ist er schon seit den ersten Morgenstunden unterwegs im Wald um die benötigten Zutaten zu sammeln.

In der kleinen Speisekammer blickt ihm gähnende Leere entgegen. Das ungeduldige Knurren seines Magens erzeugt zwar ein leises Echo, aber davon wird er auch nicht satt und die letzte Handvoll getrocknete Beeren will er noch nicht anrühren. Die Beute ist in den letzten Tagen kaum mehr geworden als im Winter, das Wild scheint sich zumindest nicht so schnell zu vermehren, wie es die Pollen und das grüne Gras geschafft haben.
Zeit sich abzulenken. Ablenkung, ja das hat er in den letzten Mondläufen zur Genüge gehabt. Vom Hunger hat ihn kaum etwas anderes mehr abgelenkt. Und ewig herumhocken und dösend auf den Frühling warten ist etwas für Bären und Winterschläfer, aber nicht für ihn, in dessen Blut der Jagdtrieb einer Raubkatze fließt.
Vergeblich sucht er in der kleinen Kammer nach seinem Messer. Dabei ist er sich sicher, dass er hier zuletzt einen harten Streifen Fleisch zerschnitten hat … oder war das im letzten Siebentag geschehen?  Ein stöhnendes Seufzen macht seinem Ärger Platz. Hunger macht so verdammt vergesslich. Und ständig denkt er nur an Essen. Das Magenknurren ist schon nervig genug, aber in den letzten Tagen kann er an nichts anderes mehr denken, als an die nächste Mahlzeit. Und seine letzte liegt so unendlich lange zurück wie ihm scheint…
Resigniert trottet er weiter in die Haupthöhle. Dort, zwischen den Versuchen, halbwegs brauchbare Behältnisse zu schnitzen, findet er schließlich die alte Klinge, die ihm in der kurzen Zeit, in der sie in seinem Besitz ist, schon beste Dienste geleistet hat.
Der irgendwann im Winter angefangene Mantel ist zu seinem Leidwesen noch immer nicht zum Abschluss gekommen. Zeit hätte er genug gehabt und vor allem wäre er von den Träumen von frisch gerissenen Wildschweinen abgekommen, doch dort wo sich statt des Ärmels nur ein Loch durch den Pelz zieht, hat ihm letztlich das Leder gefehlt, um sein Werk zu vollenden.
So nimmt er nur das Messer und zwei Gefäße an sich, die jedes etwas mehr fassen, als er in beiden Händen tragen könnte. Auf dem Rückweg aus der Höhle biegt Yamawadee noch einmal kurz in die andere Seitenhöhle ein. Hier ist es wesentlich kälter als draußen, weshalb sich der Berg aus Eis und Schnee, den er zur Winterzeit hineingeschaufelt hat, auch noch nicht komplett zu Wasser zersetzt hat. Mit raschen Bewegungen stellt er seine Gerätschaften neben sich auf den Boden und schaufelt mit den Händen den kalten Matsch beiseite, bis ein blutiges, mit einzelnen Eiskristallen besetztes Rehfell zum Vorschein kommt.
Schnell hat er auch dieses über die Schulter geworfen und macht sich, kaum aus der Höhle heraus, mit den beiden Schüsseln, dem Messer und den Rindenstücken auf in Richtung Smaragdstrand.

[-> Smaragdstrand]

Titel: Re: Die alte Wolfshöhle
Beitrag von Yamawadee am 04. Juni 2007, 11:50 Uhr
Die Nächte scheinen dunkler geworden zu sein. Das, was tagsüber aus seinem Denken verschwunden ist und sich in leiser Hoffnung auf ewiges Vergessen in die hintersten Teile seiner Gedanken verkrochen hat, lauert nun dort und harrt seiner in der Dunkelheit und in den Träumen.

Langsam richtet Yamawadee seinen Oberkörper auf und stützt sich mit der rauen Hand von seinem Lager ab. Es ist hart geworden, hier zu schlafen. Seine Faulheit hielt ihn bisher davon ab, neues Moos und Gras zu sammeln. Gut, ich kann auch auf dem Felsen schlafen, so schlimm wird das schon nicht werden, denkt er. Doch als er sich aufsetzt glaubt er, sein Rückgrat brechen zu hören. Ein hässliches Knacken zieht sich über seine Wirbel, die ob der unfreundlichen Behandlung und des harten Bodens protestieren.
„Noch besser“, knurrt er beiläufig und reibt mit der Handfläche über sein klammes Gesicht.
Funkelnd werfen seine Augen einen prüfenden Blick durch die Höhle. Herbst und Winter haben ihre Spuren deutlich hinterlassen, nicht nur in seinem Geist, sondern auch deutlich auf Wänden und Decke. Wie verklumpte Haare hängen weiße Wurzeln herein, die Erde fällt an einigen Stellen in losen Brocken auf den Boden.
Morgen. , beschließt er, wohl wissend, dass es seit einem halben Jahre schon morgen sein wird, dass er sich um mehr Ordnung bemüht. Doch was soll das? Ich hab besseres zu tun, zum Beispiel… also… In Ermangelung eines wirklichen Grundes beschließt er, diesen Gedankengang lieber nicht zu Ende zu bringen und verlegt seinen Aufenthaltsort lieber nach draußen.
Auf dem Weg dorthin dringt ihm erneut der Gestank in die Nase. Jetzt fällt ihm auch wieder ein, was ihn aus seinem Schlaf gerissen hat: ein leises Bröckeln aus dem Seitengang.
Die feuchte Erde riecht würzig, ein bisschen muffig, in der stehenden Luft. Behutsam tastet Yamawadee sich vor, einen weiteren Einbruch der Wände im Gang befürchtend. Einige Biegungen und Flüche wegen eines angestoßenen Kopfes später steht er jedoch wie so oft schon vor der Wand, die noch immer den Weg verstopft.
Missmutig dreht er sich um und kriecht zurück. Falscher Alarm. Und er hat jetzt auch keine Lust mehr, zu suchen. Soll das verdammte Ding doch einstürzen! Dann ist wenigstens endlich Schluss mit dem Rumgebröckel.

Draußen schlägt ihm feuchtnasse Luft entgegen. Entnervt verdreht er die Augen. Die Welt ist heute wirklich gegen ihn. Fehlt nur noch, dass es anfängt, wie aus Kübeln zu schütten.
Es kostet ihn nicht viel Anstrengung und statt des jungen Mannes erhebt sich ein kräftiger Panther mit glänzendem Fell. Der mittlerweile gewohnte Weg führt ihn die Anhöhe hinauf.
Laub und Luft fühlen sich kühl an, als seine Pfoten über den Boden trotten. Irgendwo über ihm schreit sich ein Eichelhäher die Seele aus dem Leib. Dummes Vieh, irgendwann erwisch ich dich schon noch. Er kann es wieder nicht lassen, mit seinen blauen Augen gen Himmel zu spähen, den Vogel vielleicht doch eines Tages zwischen den Ästen zu finden und ihm endlich das Genick zu brechen. Seit er hier eingezogen ist scheint es das Mistvieh nur darauf abgesehen zu haben, ihm regelmäßig die Jagd durch sein Geschrei zu verderben.
Doch heute steht dem Panther der Sinn nicht nach frischem Fleisch. Lederne Tatzen tragen ihn fort, nur vorwärts. Die Nacht ist vorüber, doch vor ihren Schatten muss er noch fliehen. Wie dunkle Tücher liegen noch immer die Bilder auf seinem Geist, stehlen sich unbemerkt in seinen Sinn. Bäume, dunkles Gesträuch, alles erinnert ihn an diesen Traum.
Es nützt nichts, die Augen zu schließen. Nur rennen, fort und fort, ohne Einzuhalten. Schneller schwingen seine Pranken über den Boden. Rascher krümmt sich sein Rücken, bis er als schwarzer Schatten zwischen den Stämmen hindurchjagt, die Tatzen fest gegen die Erde stemmend, den Körper heftiger und stärker vorwärts schnellend.
Allmählich spürt er seinen Geist aufklaren. Beißend brennt die Luft in seiner Lunge, als er letztlich in einen leichten Trab verfällt. Keuchend dreht er sich um. Sein ‚Morgenspaziergang’ hat ihn weit von seiner Höhle fortgeführt. Umso besser. Es wird Zeit, sich wieder mehr zu bewegen. Nach dem Winter und einem kargen Frühling mit wenigen Jagderfolgen sollte er sich neue Jagdgründe suchen. Seine Muskeln lechzen nach Auslauf und Bewegung, die ihm während der schlechten Zeiten versagt waren.



Powered by YaBB 1 Gold - SP 1.3.2!
Forum software copyright © 2000-2004 Yet another Bulletin Board