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Das Rollenspiel >> Das Umland >> Der Frostweg - die Große Handelsstraße
(Thema begonnen von: Niniane am 01. Nov. 2009, 18:14 Uhr)

Titel: Der Frostweg - die Große Handelsstraße
Beitrag von Niniane am 01. Nov. 2009, 18:14 Uhr
Der Frostweg ist die lange, uralte Handelsstraße, die von Talyra am Ildorel in den Herzlanden durch das Verdland, Draingarad und die Rhaínlande bis hinauf nach Sichelstadt in Immerfrost führt.  In Talyra nimmt der Frostweg seinen Anfang gleich abseits des Platzes der Händler und in der Nähe der Stadt wellen noch sanfte Hügel das Land links und rechts der breiten, gepflasterten Straße, ehe sie schnurgerade wie ein Pfeil durch die endlose Wildnis des Larisgrüns führt. Die Wälder entlang des Frostwegs sind eher licht, immer wieder durchbrochen von Feldern, Waldhöfen, Holzfällerkaten und heckengesäumten Äckern. Wiesen und Viehweiden wechseln sich mit kleinen Bächen und Waldteichen ab. Egal ob im Umland Talyras oder in den Grenzgebieten des Verdlandes und Draingarads, durch die der Frostweg hunderte von Tausendschritt lang führt, ganz gleich ob in den Rhaínlanden oder in Immerfrost - zu beiden Seiten dieser alten imperialen Straße finden sich Dörfer, Gasthöfe und Instandsetzungshäuser, Schmieden und Lagerhallen für die Handelskarawanen und Kaufleute, die hier zu beinahe jeder Jahreszeit außer im tiefsten Winter in großer Zahl unterwegs sind.

Von Talyra, wo der Frostweg beginnt, bis Sichelstadt in Immerfrost, wo sie endet, führt die Straße durch zahllose große und kleine oder berühmte alte Städte und ist untrennbar mit deren Wohlstand verbunden. Bei Emlyn im Verdland überquert der Frostweg den Fluss Aiterach, zwischen Penllyn und Brugia in den Rhaínlanden setzen Fähren die Reisenden trockenen Fußes über den Rhaín und bei Stormgrûn schließlich führt eine uralte Brücke aus Eisenholz über die Bree. Dich wichtigsten Städte am Frostweg sind Sichelstadt, Ylane und Falkenwacht in Immerfrost, Brage, Stormgrûn, Roskild, Elleswhere, Venray und Brugia in den Rhaínlanden, Penllyn, Mechain, Emlyn, Landeris und Caerenion im Verdland, Lormont in Draingarad und schließlich Talyra am Ildorel, wo der Frostweg endet.

Berühmte Gasthäuser an dieser Straße sind beispielsweise der 'Letzte Krug' im talyrischen Umland, etwa einen Tagesritt von der Stadt entfernt, der 'Goldene Eber' in Caerenion, der 'Grüne Drache' zwischen Landeris und Emlyn, der 'Rote Bär' und die ' Schwarzen Elster' in den Rhaínlanden und 'Managarms Amboss' oder der 'Schwappenden Krug' in Immerfrost.

Titel: Re: Der Frostweg - die Große Handelsstraße
Beitrag von Colevar am 31. Mai 2010, 06:47 Uhr
Blätterfall 509

Es ist dunkel und kalt, und er kann kaum noch atmen.



Nebelfrost 509

Es ist dunkel und kalt. Er kann nicht mehr atmen und auf seinem Herzen liegt ein Stein.



Langschnee 509

Es ist dunkel und kalt. Er kann nicht mehr atmen, auf seinem Herzen liegt ein Stein und er hatte einmal einen Namen, aber die meiste Zeit kann er sich nicht mehr daran erinnern.

Titel: Re: Der Frostweg - die Große Handelsstraße
Beitrag von Colevar am 31. Mai 2010, 07:01 Uhr
Im Langschnee, in den talyrischen Landen



Der Frostweg, ein schnurgerader, breiter Weg aus abgeschliffenen grauen Pflastersteinen, verläuft durch Kissen von welkendem Bingelkraut und wilden Kräutern, und liegt still und verlassen unter einem bleiernen Winterhimmel. Wind wispert durch die letzten braunen Blätter der einzelnen Birken, deren weißgraue Stämme fahl in der matten, schwachen an Dùbhlachd-Sonne leuchten. Der morgendliche Nebel hat sich fast vollkommen aufgelöst, doch die verwelkten, wintergrauen Teppiche von Farnen und Smaragdgras links und rechts der Straße sind noch nass von seiner Feuchtigkeit. Nichts ist zu sehen außer ein einsamer Sithechrabe, der hin und wieder seine Kreise über allem zieht, und nichts ist zu hören außer dem Wind, der von den sanften Schlehenhügeln herab über das offenere Land singt. Der Langschnee ist gekommen und zur Hälfte wieder vergangen, und mit ihm auch hier im Süden endgültig der Winter mit seinen endlosen Tagen voller Frost, Schneetreiben und eisiger Nachtkälte. Jetzt jedoch kommt die Sonne heraus und wirft goldene Schatten unter die Bäume und zwischen das gefrorene Gras. Im Nordwesten, dort wo das offene Land endet und die endlosen, dunklen Schatten des Larisgrüns dicht herandrängen, entsteht eine Bewegung unter den Bäumen und ein einzelner Reiter taucht unter den Ästen der Schwarzkiefern und Birken auf. Es ist ein großer Mann auf einem weißgrauen Pferd und sein langes Haar ist so hell wie fahles Gold. Er trägt ein graues Kettenhemd unter einem abgewetzten, braunen Lederwams, einen grauen, pelzgefütterten Umhang und ein langes graues Schwert auf seinem Rücken. An seinem Sattel baumeln neben schmutzigen Packtaschen auch eine schwere Armbrust und eine lange Axt mit bösartigen Widerhaken und einem schweren Blatt. Seine linke Schulter ist grotesk geschwollen, sein Arm nahezu gefühllos geworden, aber das scheint er kaum zu bemerken oder vielleicht spürt er es auch gar nicht mehr.

Als er aus dem Wald kommt, zügelt er sein Pferd für einen Moment und blickt unverwandt nach Südosten. Irgendwo dort unten liegt sein Ziel. Talyra. Lange blickt er in die Richtung, in die sein Weg ihn führen wird und sein düsteres Gesicht verrät außer einer gewissen Angespanntheit nichts von seinen Gedanken. Es war einmal ein schönes Gesicht -  als er noch atmen konnte, als er noch wusste, wie sein Name war und ein Herz hatte, das schlug. Damals hatte es geheißen, es sei das Gesicht eines Seharim. Jetzt ist es so verschlossen wie eine verriegelte Tür und das einzige, was es noch ausstrahlt, ist eine entsetzliche, grenzenlose Kälte - wenn es noch das eines Seharim ist, dann das eines gefallenen. Niemand sieht in dieses Gesicht, nicht wenn er es vermeiden kann, nicht einmal der Allerverrückteste. Es ist ein Gesicht, das vollkommen vergessen hat, wie man lacht, ein Gesicht, das Bierkrüge oder Weinkelche in den Händen müder Schankmaiden zum bersten bringt und kleine Kinder veranlasst, schreiend zu ihren Müttern zu laufen. Es ist ein Gesicht, das jeden harmlosen, biergeschwängerten verbalen Schlagabtausch in einem Gasthaus sofort in eine blutige Schlägerei verwandeln würde, ein Gesicht, das vorbeischlendernden Huren kalt, so kalt werden lässt, als wäre es vollkommen unmöglich, dass ihnen jemals wieder warm werden würde und Mütter dazu bringt, ihre Töchter zu packen und ins Haus zu zerren. Morgen würde er die Stadt erreichen. Morgen. Dann ist sein Eid erfüllt und er kann zurückkehren, den ganzen langen Weg, die hunderten und tausenden von Wegstrecken, die jetzt hinter ihm liegen. Wenn er wiederfinden wird, was an seinem Ende auf ihn wartet, dann würde er endlich wieder atmen können, das weiß er genau. Dann würde sich dieses Loch in seinem Inneren schließen - und vielleicht würde ihm dann sogar sein Name wieder einfallen.

Dass er sich wieder halbwegs an sich selbst erinnern kann, als die Sonne an diesem Tag gesunken ist, verdankt er einer völlig Fremden. Er war dem Frostweg gefolgt, bis er in der Dämmerung den 'Letzten Krug' erreicht hatte. Dort hatte er Filidh, der in den letzten Wochen erschreckend mager geworden war, dem Stallburschen überlassen und sich ein Zimmer genommen. Aber in der Schankstube, wo er in der dunkelsten Ecke bei einem Becher Starkbier, Brot und Käse gegessen hatte, ohne irgendetwas davon zu schmecken, ohne ein Wort mit dem Wirt oder den Schankmaiden und erst recht nicht mit den anderen Gästen, etwa einem halben Dutzend Reisender, zu wechseln, da hatte er sie gesehen. Eine junge Frau, die erschöpft und nass vom Nebel aus der Kälte draußen in das von Kerzen, Öllampen und einem gewaltigen Herdfeuer erleuchtete Gasthaus gestolpert war. Sie war nicht wirklich schön, aber hübsch und lebhaft, und hatte etwas an sich, dass Blicke anzog. Vielleicht war es nur ihre Haltung, aufrecht und elegant wie eine langstielige Blume, vielleicht der Ausdruck ihres Gesichtes, ein wenig angespannt und unsicher, aber auch sehr sanft und leuchtend von Neugier. Eine Wagemutige, war durch seine Gedanken gegeistert und merkwürdigerweise hatte er sich bei ihrem Anblick nicht mehr ganz so erbärmlich gefühlt. Sie hatte gezögert angesichts der übrigen Gäste, zumeist Männer in abgetragener Reisekleidung, aber keine wirklich zwielichten Gestalten - ihn hatte sie nicht gesehen, er war mit den flackernden Schemen und dem Halbdunkel jenseits des Feuerscheins verschmolzen. Ein Mann hatte sie begleitet, ein Baby auf dem Arm, und beruhigend ihre Schulter berührt, als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte. Der Wirt hatte sie polternd willkommen geheißen, doch sie hatte nur zu ihrem Mann aufgeblickt, und ein Lächeln hatte ihre beiden Gesichter erleuchtet, als entzünde sich ein Licht in ihren Augen. Lía. Ihr Name war in seinem Kopf erklungen und daran hatte er sich festgehalten. Und während er die fremde Frau, ihr Kind und ihren Mann aus den Schatten heraus beobachtet hatte, hatte er gewusst, dass er seine Seele verkauft hätte für eine solche Gewissheit.  

Eine Stunde später liegt er schlaflos in einem Bett in einem einfachen, aber sauberen Zimmer des 'Letzten Krugs' und starrt aus dem kleinen Fenster mit seinen bleigefassten Scheiben in den dunklen Nachthimmel. Hoch oben im perfekten Samtschwarz schwebt die bleiche, klare Rundung des Silbermondes in einem glühenden Kreis und der neue Mond liegt in den Armen des alten. Lía. In der Dunkelheit beginnt er, sich ihr Gesicht ins Gedächtnis zu rufen, die Linien ihres Körpers, ihren Duft, die weiche Dunkelheit ihres Haares. Ihre wirren Kringellocken, so warm und braun, kupfrig und zimtfarben wie Zobelpelz, ihre Rehkitzaugen, die tausend winzigen Sommersprossen auf ihrer kleinen Nase, auf ihren Schultern, ihren Beinen… und ihren Geruch nach wilden Rosen, Morgentau und warmer, schwarzer Erde. Tagsüber unterdrücken die Anstrengung seiner Reise und die schiere Notwendigkeit all der Dinge, die getan werden müssen alle anderen Bedürfnisse. Nachts aber… nachts ist sie viel zu lebendig, die Lía in seiner Erinnerung. An Ruhe ist nicht zu denken, an Schlaf erst recht nicht. Er schläft ohnehin kaum noch. Seit er sie in Falkenwacht zurückgelassen hat, seit sein Herz unter diesem Stein begraben liegt, hat er keinen Seelenfrieden mehr gefunden. Nachts vermisst er sie am meisten, wenn das letzte Licht der grauen, kalten Tage verblasst und die Welt ringsum still wird. Wenn er allein mit sich selbst und seiner Einsamkeit ist, wenn die Sterne am samtschwarzen Himmel über ihm so hell wie ihre Augen strahlen und alle seine Gedanken Bilder sind - dann ist seine Sehnsucht manchmal so groß, dass der Schmerz ihm den Atem nimmt und er am ganzen Körper zu zittern beginnt. Sein Dasein ist eine Mischung aus Zorn und Pflichtgefühl, Angst und Leid, Kälte und Verzweiflung, und selbst Riku, der ihm folgt, der jetzt so nahe ist, nimmt kaum mehr als ein Fragment seiner Gedanken ein. Seine Gedanken, wach oder schlafend, nass oder trocken, hungrig oder satt, Tag oder Nacht gelten Lía. Ihr Gesicht ist das erste, das er vor sich sieht, wenn er seine Augen aufschlägt und ihr Name das letzte Wort, das er ausspricht, bevor er sie wieder schließt. Erinnerungen und Gedanken winden sich in seinem Kopf wie Schlangen, die versuchen sich in ihre eigenen Schwänze zu beißen. Ist sie in Sicherheit? Geht es ihr gut? Würde sie warten, am Ende des Weges? Hatte sie das, was er ihr gegeben hatte, aufbewahrt, sicher verschlossen in ihrem Inneren? Hatte sie seinen Namen und vielleicht auch sein Herz?

Auf der anderen Seite der papierdünnen Bretterwand, im Zimmer nebenan, erwachen leise Geräusche – drängend, heimlich und rhythmisch, durch und durch vertraut. Irgendjemand, wer auch immer. Vielleicht die beiden, die er in der Schankstube gesehen hatte. Zuerst machen ihm die Geräusche nur seine Einsamkeit bewusst, allein mit Lías brennendem Geist in der Dunkelheit. Es scheint keine Möglichkeit wirklicher, menschlicher Wärme zu geben, keine Vereinigung von Gedanken, Herzen oder Seelen, nur lebendiges Fleisch und Hitze, an die man sich in der Finsternis klammern kann. Gibt es zwischen zwei Menschen mehr als das? Kann es mehr geben? Er weiß es nicht, aber er weiß auch, dass ihm das allein nie wieder genügen würde, dass es nie wieder so einfach wäre, dass er es nicht mehr wollen würde, nicht so. Liebe ist Gift. Ein süßes Gift, aber es tötet trotzdem. Allmählich beginnt er, etwas anderes in den ganz profanen Geräuschen von Fleisch auf Fleisch und Haut an Haut zu hören, leise, flüchtige Laute des Vergnügens, halb geahnte Worte der Zärtlichkeit, die es erträglicher machen, es mit anhören zu müssen. Natürlich hätte es irgendjemand sein können, doch vor seinem inneren Auge sieht er das Paar aus der Schankstube vor sich, sieht, wie sie sich anblicken, die Gesichter einander zugewandt. Er rollt sich auf die Seite, zieht die Decke über den Kopf, um die Geräusche auszusperren - um alles auszusperren und schließt die Augen.

Titel: Re: Der Frostweg - die Große Handelsstraße
Beitrag von Colevar am 01. Juni 2010, 10:46 Uhr
Über Nacht kommt das Fieber, auf das er seit  Wochen wartet und es verbrennt ihn bei lebendigem Leib. Seine Schulter eitert schon seit er den 'Grünen Drachen' zwischen Landeris und Emlyn verlassen hat. An manchen Tagen war es ihm so schlecht gegangen, dass er sich im Sattel festgebunden hatte, weil er sonst befürchten musste, unterwegs irgendwo vom Pferd zu kippen, aber das Fieber hatte ihn seit dem Anfang seiner Reise in den Rhaínlanden den ganzen langen Weg weitgehend verschont - bis jetzt. Als Colevar aus einem mehr als unruhigen Schlaf voll wirrer Träume ins Bewusstsein zurückdämmert, ist ihm so kalt, dass er mit den Zähnen klappern würde, würde sein Kiefer nicht so schmerzen. Durch seinen ganzen Schädel und die halbe Wirbelsäule hinab zieht sich ein Band aus weißglühendem Feuer, das bei jeder Bewegung grell und stechend auflodert, und er hat das Gefühl, tonnenschwere Gewichte hielten ihn auf den schweißgetränkten Laken fest. Eine lange Weile kämpft er einfach nur damit, die Augen zu öffnen und als es ihm irgendwann tatsächlich gelingt, trifft ihn das eher diffuse Licht eines grauen Herbsttages trotzdem wie ein Schlag. Er zuckt zusammen und schließt die Augen, doch selbst hinter seinen geschlossenen Lidern kreisen bunte Farbsprenkel. 'Steh auf', flüstert eine  warme, so wunderschön dunkle Stimme in seinem Kopf. "Lía." Ihr Gesicht taucht aus den Schatten in seinen Gedanken auf und er hätte gelächelt, wenn er nur gewusst hätte, wie. In seinem Mund ist nur der Geschmack vermodernder Erde und er rollt sich mühsam auf die Seite, um aus dem Krug neben dem Bett einen Schluck Wasser zu trinken, doch kaum hat er ihn im Magen, hätte er beinahe alles wieder von sich gegeben. 'Du musst aufstehen', drängt ihre Stimme in seinen Gedanken, und er hätte alles getan, um sie weiter zu hören, um sie irgendwie bei sich zu behalten, weiter und weiter. 'Steh auf!' Schwach wie ein neugeborener Welpe kämpft er sich auf die Füße. Irgendwie gelingt es ihm, in seine Stiefel zu kommen und seine Waffen anzulegen, irgendwie stolpert er auch aus der Kammer. Die Treppe in den Schankraum hinunter ist ein einziger Alptraum und er kriecht sie hinab, als wäre er hundert Jahre alt und schwer gichtkrank. Eine Stunde später sitzt er wieder im Sattel und reitet weiter auf dem letzten Stück des Frostweges, auch wenn er beim besten Willen nicht sagen kann, wie er dort hingekommen ist. Er hat alles zurückgelassen, was er nicht mehr braucht, um so schnell wie möglich voranzukommen - die Packtaschen, alle Vorräte, seine Schlaffelle, jedes Quäntchen überflüssigen Gewichts, das sein Pferd zusätzlich belasten könnte. Er würde Talyra heute Nacht noch erreichen, er muss - aber es kostet ihn seine ganze Kraft, nicht von Filidhs Rücken zu fallen.

Es wird Mittag, ehe er Lías Stimme wieder hört, diesmal eindeutig wütend, und als sie ihn wieder halbwegs zu sich bringt, hängt er tief über dem Hals des Hengstes und erbricht das wenige, was er zum Morgenmahl gegessen hatte - Haferbrei und trockenes Brot. 'Lass das!' Schimpft sie und diesmal lächelt er wirklich. "Sommersprosse… du kannst mir vieles verbieten, aber das nicht." 'Du musst dich ausruhen,' fleht die Stimme. 'Irgendwo, wo es warm und trocken ist…' "Mir ist warm genug", krächzt er, obwohl das Fieber ihn mittlerweile so sehr schüttelt, dass er von Kopf bis Fuß zittert und es rot hinter seinen Augen brennt. Wären Riku und seine Männer jetzt hinter ihm aufgetaucht, hätte er nicht einmal mehr irgendeine Waffe heben können. Er blinzelt über seine Schulter und schon die simple Anstrengung, den Kopf zu drehen, kostet ihn fast sein Gleichgewicht, so dass er um ein Haar aus dem Sattel gerutscht wäre. Doch er sieht nichts außer einem Raben, der von Baum zu Baum flattert und das einzige Geräusch um ihn her, vielleicht das einzige auf ganz Roha, ist das leise Wispern des fallenden Schnees. Er blickt aus schmalen Augen in den Himmel und kann nicht einmal sagen, wann es angefangen hatte zu schneien. Weiche, weiße Flocken schweben herab, sanft wie kleine, kalte Küsse auf seiner fieberheißen Haut. Er legt Filidh die Zügel auf den Hals. "Bring uns nach Hause. Du kennst den Weg. Bring uns nach Hause." Das Zögern des Pferdes, gewohnt, geführt zu werden und nicht selbst führen zu müssen, dauert nur ein oder zwei Herzschläge, dann setzt der grauweiße Fryslâner sich wieder in Bewegung. Als die Sonne sinkt, ist Colevar weiß wie Milch und brennt wie Feuer. Auch Filidh ist erschöpft, doch er gönnt ihm keine Ruhe, er kann nicht - eine Nacht hier draußen in seinem Zustand würde ihm endgültig den Rest geben. Es ist kalt und wird noch kälter, bis weißer Frost und glitzernder Reif die Stämme der Bäume, das Gras und selbst das alte Straßenpflaster vor ihm überziehen. Hier ist das Larisgrün lichter, drängt sich nicht mehr dicht und dunkel um die Straße und ist nicht länger voller Geflüster, sondern wird immer wieder von Lichtungen, Waldweiden, Koppeln und kleinen Gehöften oder heckengesäumten Feldern durchbrochen. Er hat das Umland der Stadt erreicht und die Wildnis bleibt hinter ihm zurück. Seine Schulter und sein ganzer linker Arm sind inzwischen voller rotblauer Streifen und ihm schwindelt so vom Fieber, dass er sich zweimal dabei erwischt, wie er in die falsche Richtung reitet.

Lías Stimme ist immer noch bei ihm, doch allmählich klingt sie wirklich ängstlich, auch wenn sie fast pausenlos wie ein Rohrspatz mit ihm schimpft. Er hört nicht auf sie, natürlich nicht, denn wenn er es täte, das weiß er genau, wenn er tun würde, was sie verlangt - rasten, ruhen, einen Heiler suchen, in irgendein Haus einkehren und um Hilfe bitten -, dann würde sie gewiss verstummen. Colevar hat keine Ahnung, ob er vielleicht gerade wahnsinnig wird oder ob ihm sein Unterbewusstsein böse Streiche spielt, aber im Grunde ist es ihm auch vollkommen gleich. Er will nur ihren Klang nicht verlieren. Er weiß genau, dass sie hunderte von Tausendschreit weit entfernt ist und dennoch hat er das Gefühl, sie wäre ihm unwahrscheinlich nah, so nahe wie nicht mehr seit… seit… er sie zurückgelassen hatte. 'Dein Versprechen,' erinnert sie ihn und klingt fast panisch. 'Du hast es geschworen!' "Ich werde dich finden. Ganz gleich wie lange es dauert oder wie weit der Weg ist, ich finde dich." Er weiß nicht, ob er die Worte, die er damals auf dem kalten, nächtlichen Berghang irgendwo in den südlichen Wäldern Savos zu ihr gesagt hatte, jetzt wirklich laut ausspricht, oder ob er ihr nur in Gedanken antwortet, aber es ist ihr beständiges Flehen und ihr Schimpfen, ihr Zetern und ihr Schmeicheln, ihr Drohen und ihr Flüstern in seinen Gedanken, das ihn irgendwie zusammenhält. Das letzte, was er wahrnimmt, ehe ihn eine Finsternis zu sich holt, in die ihm nicht einmal der Schmerz oder Lías Stimme folgen können, sind die die Nachtfeuer auf den Mauern Talyras, die wie kleine Feuerblumen in der schneeverwehten Dunkelheit vor ihm aufleuchten.

Titel: Re: Der Frostweg - die Große Handelsstraße
Beitrag von Atevora am 24. Feb. 2011, 19:34 Uhr
Ende Sonnenthron 510


Unruhig schaukelt die Kutsche und schüttelt Atevora durch, als sich eines der Räder über eine neuerliche Bodenunebenheit bewegt. Es war erst kurz vor Mittag, doch es war bereits jetzt schon beinahe unerträglich heiß und stickig im inneren, sodass der Magierin Kleider unangenehm klebrig an ihrer Haut liegen und die harten Sitze der kaum vorhandenen Polsterung erhöhten die Reisequalität auch nicht sonderlich. Atevora fühlte sich nach den drei Reisetagen dreckig, ungepflegt und überaus schlecht ausgeruht. Letzteres vor allem deshalb, da der Kutscher sich zum Nachtlager, wie es auch üblich ist, zum Schutz vor möglichen Wetterumschwüngen unter die Kutsche legte und dort derart laut vor sich hin sägte, dass man meinen könnte er würde Nachts das gesamte Larisgrün abholzen. Glücklicherweise würden sie voraussichtlich noch heute Abend eine ihrer Zwischenstationen, eine größere Pferdewechselstelle, erreichen. Der erste Weg, das hatte sich die Eismaid fest vorgenommen, würde sie zu einem ausgiebigen warmen und erholsamen Bad führen um sich den ganzen Staub, Dreck und Schweiß der Reise vom Leib zu schrubben. Danach würde sie sich einem ausgiebigen Mal widmen und dann den Luxus genießen das letzte Mal für längere Zeit wieder in einem richtigen Bett zu nächtigen.
Doch bis es soweit war, versuchte sie mit wenig Erfolg und gepeinigt von der Hitze, ihrer Müdigkeit und den ständigen Erschütterungen die Pergamente vor sich zu lesen. Sie behandelten allerhand Thesen, Gegenthesen, Auszüge, Exzerpte und Erörterungen zu Thematiken die Atevora größtenteils im Grunde vollkommen einerlei waren. Doch ein Teil der niedergeschriebenen Materie schlug derzeitig große Wellen in einer der Gegenden, in die sie ihre reise führen würde, und in dem Fall sollte sie doch einigermaßen darüber informiert sein, was dort derzeit die Gesellschaft bewegte.

Unerwartet kommt die Kutsche zum stehen.
Da es erst kurz vor mittag war, konnten sie ihr Ziel noch unmöglich erreicht haben. Zudem gefiele das Atevora überhaupt nicht, denn das würde bedeuten, sie hielten nur kurz Rast und würden danach die Nacht erst wieder irgendwo im Nirgendwo verbringen.
Ein wenig irritiert legt die Magierin also die Schriftstücke beiseite und schlüpft in ihre Handschuhe, als auch in den Mantel und zieht sich die Kapuze, wie immer, tief ins Gesicht, um nachzusehen was die Fuhrwagengruppe halten lässt.
Der Stop wird durch einige Späher der Steinfaust verursacht. Wie sich bald herausstellt, suchen sie nach zwei Frauen, die vermisst werden und nach denen nun offensichtlich die Gegend den ganze Frostweg entlang und das Larisgrün abgesucht wurde. Es war äußerst selten, dass soviel Energien in die Suche von zwei vermissten Weibern gesteckt wird. Wenn beispielsweise sie selbst verschwinden würde, würde die Steinfaust gewiss nicht alle möglichen Ressourcen ausschöpfen und Hebel in Bewegung setzen um sie wieder zu finden. Vermutlich wäre sie nur ein weiterer Name auf irgend einem Pergament, das in den Archiven zusammen mit so vielen Anderen verstaubt, und weiters würde kein Hahn mehr groß nach ihr krähen. Diese Frauen hatten offenbar das Glück die richtigen Leute zu kennen.

Zu der Späher bedauern kann ihnen keiner aus der Wagenkolonne weiterhelfen, und so ziehen die Späher wieder weiter und die Wagengruppe setzt sich nach dem kleinen außerplanmäßigen Aufenthalt wieder in Bewegung.



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